In meinen frühen Zwanzigern wollte ich mich in Berlin in der Musikbranche und im Kulturbereich etablieren, ich lernte schnell viele Leute kennen, die mir dabei helfen wollten. Nur stellte sich oft erst im Nachhinein heraus, dass sie für diese Hilfe auch eine Gegenleistung erwarteten. Es ist mir mehrfach passiert, dass ich von (häufig älteren, sie nannten es „etablierten“) Männern angeschrieben wurde, die mir Fotos, Probeaufnahmen im Studio oder andere Unterstützung zusicherten, um, wie sie sagten, junge Talente zu fördern. Weil ich zu Beginn meiner Karriere wenig Geld hatte, war ich über die Angebote dankbar und rückblickend wohl zu introvertiert und vielleicht auch zu naiv um vorauszusehen, dass sie von vornherein Sex oder zumindest sexuelle Zuwendung als Gegenleistung erwarteten. Zweimal bin ich dadurch in eine schwierige Situation gekommen, so dass ich gegen meinen Willen Sex hatte. Wegen einer Retraumatisierung (frühere Missbrauchserfahrung) dissoziierte ich und konnte deshalb nicht deutlich genug „Nein“ sagen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass alles andere an mir, inklusive meines Körpers, ein Nein mehr als ausgestrahlt hat. Ich schäme mich bis heute dafür, obwohl es andersrum sein sollte. Die Täter sollten sich schämen und ich bin im Nachhinein schockiert, wie oft mir das noch hätte passieren können… Von den vielen ungefragten Dickpicks, ungewollten Textnachrichten mit Einladungen zum Sex jeglicher Spielart oder dem Projektleiter, der meine Unterwäsche aus der Garderobe klaute, fange ich erst gar nicht an zu reden. Es scheint mir rückblickend für viele Männer in der Branche normal gewesen zu sein, so selbstverständlich waren die Methoden und eingeübten Muster, die Sicherheit und Deckung durch die Strukturen. Und leider saßen diese Typen (oder sitzen noch?) oft an den entscheidenden Stellen. Als ich später einen der Männer, dank guter Therapie-Erfolge, mutig mit meinen Erlebnissen konfrontieren wollte, sagte der nur „Du warst jung und wolltest gefickt werden, das hat man doch gesehen.“ Ich bin bis heute fassungslos über diesen Satz.